Dammriss und sinnvolle Therapiemaßnahmen nach Geburt bei einer anorektalen Stuhlinkontinenz
In unserer spezialisierten Physiotherapiepraxis behandeln wir Frauen mit Beckenbodendysfunktionen. Dazu zählt auch die anorektale Stuhlinkontinenz. Diese tritt nicht nur, aber in manchen Fällen nach einer vaginalen Geburt auf. Während der Anamnese besprechen wir den Ablauf der Geburt und fragen nach dadurch entstandenen Verletzungen der Beckenbodenregion. Fast jede Frau berichtet in dem Zuge von einem Dammriss. Diese Info reicht allerdings nicht aus um wirklich entscheiden zu können, welche Therapiemaßnahme sinnvoll ist und ob die bestehende Symptomatik durch die physiotherapeutische Behandlung behoben werden kann. Der Grad des Dammrisses hier entscheidend.
Was ist ein Dammriss?
Der Damm ist der Bereich zwischen der Vaginalöffnung und dem Anus. Also der Damm, der die beiden Körperöffnungen voneinander trennt. Der Damm ist nicht nur ein Bereich, den man von außen sehen kann, sondern auch ein Bereich tief in der Beckenbodenmuskulatur. Dort, im Centrum tendineum perinei treffen verschiedene Muskeln des Beckenboden zusammen.
Während der Geburt erfährt das Bindegewebe enorme Druck- und Zugkräfte. Die Vagina dehnt sich während der Geburt um ca. das zehnfache. Der Damm ist durch den Kopf des Kindes erheblichem Druck ausgesetzt. Ist der Druck zu hoch bzw. das Bindegewebe nicht weiter dehnbar, dann reißt der Damm ein. Einen informativen Beitrag dazu hat unsere Kollegin Kathrin in einem Reel auf Instagram für dich veröffentlicht.
Grade und Inzidenz
Die unkomplizierte, vaginale Geburt kann in bis zu 20 % der Fälle zu einer Schädigung des Beckenbodens führen. Die Stärke des Risses wird in 4 Grade eingeteilt.
Dammriss Grad I: Die Haut des Dammes und eventuell der hinteren Scheide ist nur oberflächlich eingerissen
Dammriss Grad II: Zusätzlich zum Riss der Haut ist auch die Oberfläche der Dammmuskulatur verletzt
Von einem höhergradigen Dammriss spricht man, wenn zumindest der anale Schließmuskel (M. sphincter ani externus) verletzt ist.
Dammriss III: Sphinkter verletzt, Rektumwand intakt
Dammriss IV: Sphinkter verletzt, Rektum eröffnet
Weiterhin macht es Sinn, den Dammriss Grad III nochmals zu unterteilen. Hier wird unterschieden in:
Dammriss IIIa weniger als 50% der Muskeldicke des M. sphincter ani externus zerrissen
Dammriss IIIb mehr als 50% der Muskeldicke des M. sphincter ani externus zerrissen
Dammriss IIIc M. sphincter ani externus und internus zerrissen
Nach Literaturangaben liegt die Inzidenz von Dammrissen III. oder IV. Grades post partum bei 0,7–6 %. Die Auswertung der Daten eines Perinatalzentrums ergaben folgende Inzidenzen: Dammriss Grad II: 3,8 %, Dammriss Grad IV: 0,1 %.
Gibt es Risikofaktoren die einen Dammriss begünstigen?
Es stellt sich die Frage, kann ein Dammriss vermieden werden bzw. gibt es Risikofaktoren für einen höhergradigen Dammriss? Es gibt Risikofaktoren für einen höhergradigen Dammriss. Dazu zählen eine Zangengeburt, eine mediolaterale und mediane Episotomie, eine ungünstige Stellung der Schulter des Kindes nach Austritt des Kopfes, ein Geburtsgewicht von über 4 kg, eine verlängerte Austreibungsphase und Nulliparität. Kein Risikofaktor ist das Alter der Mutter und die Stellung des Kopfes des Kindes.
Das Risiko für einen Dammriss kann durch die Verwendung einer Vakuumglocke gegenüber einer Zange minimiert werden. Auch die Vermeidung eines Dammschnittes führt zu weniger Dammrissen.
Anorektale Stuhlinkontinenz
Eine lange Zeit ging man davon aus, dass die Schädigung des Beckenbodennervs (Nervus pudendus) der Grund für eine Stuhlinkontinenz ist. Allerdings konnte bei der Untersuchung von Frauen mit schweren Schließmuskeldefekten keine abnorme Beeinträchtigung der Funktion des Nervens festgestellt werden. Es herrscht also kein Zusammenhang zwischen der Nervenleitgeschwindigkeit und der Schwere der Inkontinenz
Die geburtsbedingte traumatische Phinkterverletzung ist der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung einer Stuhlinkontinenz.
Laut Studie aus dem Jahr 2007 konnte durch die Ultraschalluntersuchung des Rektums bei 30 % der untersuchten Frauen nach vaginaler Entbindung eine Verletzung des analen Schließmuskels festgestellt werden. Ein Drittel dieser Frauen entwickelte eine Stuhlinkontinenz. Bei mehr als 30% der Frauen konnte nach primärer Versorgung des Dammrisses immer noch ein muskulärer Defekt nachgewiesen werden.
Auch 2 Jahre nach Entbindung berichten 20 % der Frauen mit einem Dammriss Grad 3 über eine anorektalen Stuhlinkontinenz. Überraschenderweise sind aber auch die Frauen ohne höhergradigen Dammriss auch nach 2 Jahren noch von einer Stuhlinkontinenz betroffen. Hier scheinen das Alter der Mutter und eine verlängerte Austreibungsperiode begünstigende Faktoren zu sein.
Welche Therapieoptionen gibt es bei einer Stuhlinkontinenz?
Besonders im therapeutischen Kontext ist es unabdingbar über präventive Faktoren zu sprechen. Je nach Quelle wird der pränatalen Dammmassage ein positiver Effekt in Bezug auf die Risikominimierung höhergradiger Dammrisse zugeschrieben. Der Epi-No Trainer wird als Hilfsmittel für die Vorbereitung des Dammes eher kritisch betrachtet. Die Geburtsposition hat eine Auswirkung auf die Kräfte die am Damm wirken. Eine aufrechte Geburtsposition (Sitz, Gebärhocker,..) senkt die Dammschnittrate und das Risiko für eine Zangen-oder Saugglockengeburt, lässt allerdings minimal die Dammrissrate steigen. Auch die Wassergeburt senkt die Rate der Dammschnitte aber nicht der Dammrisse.
Wichtig ist eine gute Durchblutung und Wahrnehmung der Beckenbodenregion. Hier können Beckenbodenübungen, Atemtechniken und Massagen des Beckenbodens helfen.
Nach einem Dammriss ist eine konsequente Schmerztherapie durch Medikamente notwendig. Die Gabe von Antibiotika hat keine Evidenz sollte aber laut Leitlinie in Erwägung gezogen werden. Muskelentspannende Medikamente werden über ca. 2 Wochen verordnet.
Hilfreich ist das Erlernen des Managements für den Stuhlgang. Der Stuhlgang sollte weich sein. Nach dem Toilettengang wird mit Wasser nachgespült. Kühlende Auflagen reduzieren Schwellungen. Östrogenhaltige Cremes halten das Bindegewebe elastisch und durchblutet. Sitzbäder werden nicht empfohlen. Keimreduktion durch die Nutzung einer Po-Dusche oder eines Bidets werden empfohlen.
3 Monate nach Entbindung wird eine anale und vaginale Tastuntersuchung empfohlen. Hier kann die Kraft des Beckenbodenmuskels bestimmt werden und anschließend ein individueller Trainingsplan erstellt werden. Bei der Tastuntersuchung können auch eventuelle Narbenverklebungen festgestellt werden. Hier bietet es sich an in der Physiotherapie manuelle Narbenmobilisationen durchzuführen.
Ebenfalls gehört die Aufklärung zu einer umfassenden physiotherapeutischen Behandlung. Bei bestehender Stuhlinkontinenz kann durch das Erlernen des gezielten Abführens des Stuhlgangs ein großer Teil der Lebensqualität zurückgewonnen werden. Eventuell macht die Anwendung von Analtampons ebenfalls Sinn.
Allerdings muss festgehalten werden, dass die Effektivität konservativer Maßnahmen begrenzt ist, solange der Beckenbodenmuskel nicht funktionsfähig ist. Hier kann das Training mit einem Biofeedbackgerät oder einer Elektrostimulation zu einer Verbesserung der Muskelspannung führen, immer in Zusammenarbeit mit einer geschulten Therapeutin.
Schlussendlich kann aber auch eine operative Versorgung des sphincter ani externus nach Abschluss der Wundheilungsphase zu einer Verbesserung der Stuhlinkontinenz führen. Studien beschreiben eine Verbesserung der Symptomatik durch eine spätere Operation bei 71 % der Frauen. 40 % der befragten Frauen waren wieder vollkommen kontinent. Hier kommen verschiedene Operationstechniken in Frage, die individuell mit dem Chirurgen/ der Chirurgin besprochen werden sollten.
Kaiserschnitt auf Wunsch
Viele Frauen berichten von der Angst, nach einem höhergradigen Dammriss ein zweites Kind vaginal zu entbinden. Diese Angst ist gar nicht so unbegründet. In einer Umfrage unter weiblichen Geburtshelferinnen wünschten sich 31% der Frauen für ihre erste Geburt einen elektiven Kaiserschnitt. 80 % gaben als Grund die Angst vor einer Verletzung des Schließmuskels an. Eine zweite Entbindung nach einem Dammriss Grad 4 erhöht das Risiko für eine schwere anale Inkontinenz. Laut Studienlage sollte der elektive Kaiserschnitt diskutiert werden, wenn ein Schaden des Sphinkter darstellbar ist oder eine Stuhlinkontinenz vorliegt.
Literatur
Demmel, M. A., Görgl, B., Nouri, K., Schlapper, D., & Umschaden, W. (2007). Rekonstruktion des musculus sphincter ani und des hinteren dammes 17 jahre post partum bei nicht versorgtem dammriss IV - Ein fallbericht. Journal Fur Urologie Und Urogynakologie, 14(2), 16–18.
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, D., & Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, S. G. für G. und G. (2020). Leitlinie zum Management von Dammrissen Grad III und IV nach Geburt.
Faridi, A., Willis, S., Schumpelick, V., & Rath, W. (2001). Anorektale inkontinenz als folge der vaginalen geburt. Geburtshilfe Und Frauenheilkunde, 61(8), 559–568. https://doi.org/10.1055/s-2001-16934
Hofmann, R., & Wagner, U. (2009). Inkontinenz- und Deszensuschirurgie der Frau. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-79938-2
Niemeyer, B., Hamann, M., KTM, S., & Vogel, M. (2013). Dammrisse III und IV Grades: 5 Jahres Daten bezogen auf Prävalenz bzw. Outcome eines Perinatalzentrums Level I.
Therapie bei Dammriss nach der Geburt in Köln
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