Elektrotherapie am Beckenboden? Was ist das genau und ist es vielleicht ein sinnvoller Therapieansatz? Im folgenden Artikel erfährst du was die Elektrotherapie in der Beckenbodentherapie ist und wieso diese vielleicht eine sinnvolle Ergänzung zu „klassischen“ Therapieformen sein kann.
Elektrotherapie des Beckenbodens kann in die Stimulations- und die Biofeedbacktherapie unterteilt werden.
Ziele der Stimulationselektrotherapie sind die Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur, aber auch die Verbesserung der Entspannungsfähigkeit und die Durchblutungssteigerung. Dabei wird der Strom genutzt, um Strukturen im Becken zu Aktivierung und je nach Zielsetzung den gewünschten therapeutischen Effekt zu erzielen (Henning, 2023; Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Bei der Biofeedbacktherapie hingegen wirkt kein Strom auf die Strukturen. Die Aktivität der Muskulatur wird erfasst und visuell dargestellt (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021). Dies kann für die Diagnostik (Muskelaktivität, Ausdauerfähigkeit, Entspannungsfähigkeit), aber auch als Trainingsform (Steigerung der Ausdauerfähigkeit, Verbesserung der Maximalkraft und Erhöhung der Entspannungsfähigkeit durch visuelle Sichtbarkeit) genutzt werden (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021. Studien wiesen darauf hin, dass die Kombination aus Biofeedbacktraining und Beckenbodentraining sinnvoll für die Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur und folglich für die Reduktion von Beschwerden wie Inkontinenz sein könnte (Berghmans, et al., 1996; Alouini, Memic, & Couillandre, 2023). Diese Therapieform ist besonders gut zu Beginn der Elektrotherapie einsetzbar, um die Wahrnehmung, das Verständnis des Beckenbodens und dessen Aktivität zu verbessern.
Anwendungsformen
Die Anwendung erfolgt über eine vaginale oder rektale Sonde oder externen Klebeelektroden. Die Stromstärke wird in Milliampere (mA) angegeben. Die gewählte Stromstärke ist abhängig von der Toleranz der PatientIn und der Stromform (Henning, 2023). Von der Elektrotherapie sollte abgesehen werden, wenn eine Schwangerschaft besteht oder die Kupferspirale eingesetzt wurde (Fischer, 2017).
Stromfrequenzformen der Stimulationstherapie
Es kann zwischen verschiedenen Stromfrequenzen gewählt werden. Die gewählte Frequenz entscheidet über die therapeutische Wirkung. Abhängig von deinem Beschwerdebild bespricht geschultes Personal wie deinE BeckenbodentherapeutIn welche Stromfrequenz am sinnvollsten für dich ist.
Im Folgenden werden die verschiedenen Stromfrequenzen und nutzen geschildert:
Für eine gute muskeltherapeutische Wirkung eignen sich besonders gut niederfrequente oder mittelfrequente Stromfrequenzen (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Mittelfrequenter Strom
Das Stromgefühl bei mittelfrequentem Strom wird als gering wahrgenommen und wird in der Regel gut von PatientInnen toleriert, wodurch ein intensives Muskeltraining möglich ist (Fischer, 2017). Durch diese Stromfrequenz kommt es zu einer hohen neuromuskulären Aktivierung und dadurch einer Aktivierung aller Muskelzellen trotz niedriger Intensität (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021). Ein tiefes Eindringen in das Gewebe ist möglich (Fischer, 2017). Diese Stromfrequenz kann bei Drang- oder Belastungsinkontinenz angewendet werden (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Niederfrequenter Strom
Bei niederfrequenten Stromfrequenzen hingegen ist das Stromgefühl stärker und der Strom dringt nicht so tief in das Gewebe ein (Fischer, 2017). Elektrotherapie mit niederfrequentem Strom ist auch bekannt als elektrische muskuläre Stimulation (EMS) (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021). Gut eignet sich ein niederfrequente Stromprogramm bei Drang- oder Belastungsinkontinenz und Reizblasen (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Modulierter-Mittelfrequenter Strom
Ein modulierter-mittelfrequenter Strom eignet sich besonders für den Muskelaufbau der Beckenbodenmuskulatur. Diese Stromart ist eine Kombination aus Mittel- und Niederfrequenzstrom. Angepasst werden hier, je nach Zielführung, die Impulse pro Minute (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Therapeutische Effekte des Modulierten-Mittelfrequenzstroms (je nach Modulationsgrad):
Muskelaktivierung (Tonisierung): 4 – 6 Impulse/Min
Massage und Lymphsystemanregung: 15 Impulse/Min
Muskelkräftigung: 30 Impulse/Min
Entspannung und Lockerung (Detonisierung): > 60 Impulse/Min
(Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021)
Diese Stromart kann bei Beckenbodeninsuffizienzen, sowie Drang- oder Belastungsinkontinenz verwendet werden, um die Muskulatur zu kräftigen und die Beschwerden zu lindern (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Die Kombination aus Beckenbodentraining und Elektrotherapie mit modelliertem mittelfrequentem Strom zeigte bei PatientInnen mit funktionellen und strukturellen Beckenbodenstörungen eine Zunahme an Muskelmasse (Fischer, 2017). Folglich kann die Elektrotherapie eine gute Ergänzung zum Beckenbodentraining sein.
Die Verwendung von mittelfrequentem Strom bei PatientInnen mit analer Inkontinenz wird empfohlen (Schwandner, et al. 2011). Aufgrund der Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur wird die Stützfunktion des Beckenbodens auf die Beckenorgane verbessert und Organsenkungsbeschwerden können reduziert werden (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Ein hochfrequenter Strom wird genutzt, um die Durchblutung im Bereich des Beckenbodens zu steigern und die Muskulatur zu Entlasten und Entspannen (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Stromfrequenzen und deren therapeutische Wirkung (leichte Abweichungen je nach Gerät möglich):
Muskelausdauer: 2 – 20 Hz
Rekrutierung von Typ I – Muskelfasern (= 70% der Beckenbodenmuskulatur (von der Heide, 2008).
Muskelausdauer und Kraft: 20 – 30 Hz
Rekrutierung von Typ I - und IIa - Muskelfasern
Kraft und Schnellkraft: 35 – 80 Hz
Rekrutierung von Typ IIa - und IIb - Muskelfasern
(Fischer, 2017)
Schmerzlinderung: 100 Hz (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021)
Je nach Ziel kann die Stromart so gewählt werden, dass die Muskulatur nicht nur gekräftigt, sondern auch entspannt wird. Dies ist besonders spannend bei Beschwerdebildern mit einer verspannten Beckenbodenmuskulatur, wie des Vaginismus. Auch dort kann die Elektrotherapie eine sinnvolle Therapieergänzung sein (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021; Barnes, Bowmann, & Cullen, 1984).
Ablauf der Elektrotherapie
Die Elektrotherapie kann z.B. in Form eines Elektrotherapie-Heimgeräts von einem Arzt oder einer Ärztin verschrieben werden. Damit ist das selbstständige beüben möglich. Eine vorherige Einweisung (insbesondere für die Stimulationstherapie) von spezialisierten TherapeutInnen ist allerdings wichtig, damit ein individuelles Trainingsprogramm angepasst werden kann.
Außerdem besteht die Möglichkeit Klebeelektroden neben dem Damm zu platzieren oder eine Sonde vaginal oder rektal einzuführen. Danach kannst du dich wieder anziehen oder bedecken und die Therapie kann bekleidet durchgeführt werden.
Wir empfehlen ein tägliches Training von 20-30 Min für 12 Wochen. In der Regel wird das Gerät für einen Zeitraum von 12 Wochen verordnet. Eine Verlängerung ist allerdings möglich (Tunn, Hanzal, & Perucchini, 2021).
Fazit
Die Arbeit mit Elektrotherapie ist eine sinnvolle Ergänzung zur Beckenbodentherapie!
Je nach Zielsetzung kann sie vielseitig eingesetzt werden. Studien weisen auf positive Effekte, wie die Kräftigung der Muskulatur und die Reduktion von Beschwerden wie Verspannung, Vaginismus und Inkontinenz hin.
Folglich kann die Elektrotherapie als eine sinnvolle Ergänzung zum Beckenbodentraining angesehen werden.
Mit einer Verordnung können Elektroheimgeräte verschrieben werden. Nach einer fachlichen Einweisung kann selbstständig trainiert werden. Zur optimalen Anpassung und Verbesserung wird ein kontinuierliches tägliches Training von 20 – 30 Min von mindestens 12 Wochen empfohlen. Sprich am besten deineN BeckenbodentherapeutIn oder deineN Arzt oder Ärztin auf die Elektrotherapie an.
Literatur
Alouini, S., Memic, S., & Couillandre, A. (2022). Pelvic Floor Muscle Training for Urinary Incontinence with or without Biofeedback or Electrostimulation in Women: A Systematic Review. International journal of environmental research and public health, 19(5), 2789. https://doi.org/10.3390/ijerph19052789
Barnes, J., Bowman, E. P., & Cullen, J. (1984). Biofeedback as an adjunct to psychotherapy in the treatment of vaginismus. Biofeedback and self-regulation, 9(3), 281–289. https://doi.org/10.1007/BF00998972
Berghmans, L. C., Frederiks, C. M., de Bie, R. A., Weil, E. H., Smeets, L. W., van Waalwijk van Doorn, E. S., & Janknegt, R. A. (1996). Efficacy of biofeedback, when included with pelvic floor muscle exercise treatment, for genuine stress incontinence. Neurourology and urodynamics, 15(1), 37–52. https://doi.org/10.1002/(SICI)1520-6777(1996)15:1<37::AID-NAU4>3.0.CO;2-G
Fischer, A. (2017). Therapie mit moduliertem Mittelfrequenzstrom am Beckenboden. Frankfurt.
Henning, S. (2023). PT Elektrotherapie: Praxis und Ausbildung. In Fachwissen Physiotherapie. Die Fachwelt Verlag.
Schwandner, T., Hemmelmann, C., Heimerl, T., Kierer, W., Kolbert, G., Vonthein, R., Weinel, R., Hirschburger, M., Ziegler, A., & Padberg, W. (2011). Triple-target treatment versus low-frequency electrostimulation for anal incontinence: a randomized, controlled trial. Deutsches Arzteblatt international, 108(39), 653–660. https://doi.org/10.3238/arztebl.2011.0653
Tunn, R., Hanzal, E., & Perucchini, D. (2021). Physiotherapeutisches Konzept bei Beckenbodenfunktionsstörungen. In Urogynäkologie in der Praxis und Klinik. Walter de Gruyter.
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